Samstag, 17. März 2012

"Anstatt sich einen kerligen Habitus zuzulegen sollten Frauen sich vor Augen führen wofür sie stehen."

Seine journalistische Laufbahn begann im zarten Alter von 18 Jahren mit der Beteiligung an der taz-Gründung, seitdem hat Tom Schimmeck bei zahlreichen Medien gearbeitet, etwa für den Spiegel, Die Zeit, den Deutschlandfunk und den NDR. Gegenwärtig ist er freiberuflicher Journalist für Print und Funk und hat vor knapp zwei Jahren das Buch „Am besten nichts Neues – Medien, Macht und Meinungsmache“ veröffentlicht. In einem Kapitel darin zeigt er am Beispiel der Berichterstattung über die SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti im Jahr 2008/2009 auf, „wie Medien funktionieren, wenn eine Frau überraschend Erfolg hat“. Quer durch die bundesrepublikanische Medienlandschaft sei auffällig häufig und vehement auf klischierte „weibliche“ Attribute und Bilder zurückgegriffen worden, um Ypsilanti „zur Idiotin zu degradieren“. Gründe genug, bei dem einzigen männlichen Vortragenden der Tagung noch einmal genauer nachzufragen.

Herr Schimmeck, sie sind der einzige Mann unter den Referierenden auf der hiesigen Tagung, die ja explizit auf Frauen in den Medien fokussiert; Wie haben Sie Ihre geschlechtssensible Perspektive entwickelt und inwiefern spielt sie eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Entwickelt? Keine Ahnung. Ich glaube prägend waren da etwa meine Redakteursjahre in der „Spiegel“-Burschenschaft. Klassische Männerrituale kamen mir schon immer absurd vor, ich konnte damit nichts anfangen. Der typische Umgang unter echten Kerlen bereitet mir manchmal geradezu körperliches Unwohlsein. Heute habe ich überwiegend mit Redakteurinnen zu tun, was ich genieße – auch wenn ich mittlerweile nicht mehr glaube, dass Frauen per se die besseren Menschen sind (lacht). Aber im Ernst: Das, was jetzt „Gender“-Perspektive heißt, schwang in meiner Arbeit wahrscheinlich immer irgendwie mit, schon in den taz-Anfängen, wo die Quote ja bereits vor über 30 Jahren Thema und Realität war. Zugleich wird dieser Gender-Stoff stetig komplexer und konfuser. Bei meinen mittlerweile fast erwachsenen Töchter etwa kam das männliche Geschlecht meistens als Störfall war, seit dem Kindergarten. Sicher gibt es viele tolle Jungs. Der Mann an sich aber wirkt zunehmend emotional inkompetent und entwurzelt. Ich will seit Jahren ein Feature über „Jungs“ zu machen – auch um mich nochmal genauer mit dem Thema Männlichkeit auseinanderzusetzen.

Hat diese Konfusion hinsichtlich dessen, was Männlichkeit heute bedeutet, auch mit der nachgerade „götzenhaften Verehrung starker Männerfiguren“ zu tun, die Sie in den Medien konstatieren?
Ganz sicher! Die Art und Weise, wie etwa Ex-Kanzler Helmut Schmidt heute medial gefeiert wird, wie auch ein Gauck vorab zelebriert wurde, ist wohl auch Zeichen einer Sehnsucht nach dem Papa, eines irrationalen Rollbacks zur klassischen Männerfigur, zum „Beschützer“, zum Heilsbringer. Andererseits erklärt diese Konfusion – neben allem politischen Kalkül, das hier mitspielte – auch einen Teil des Phänomens Andrea Ypsilanti: Dieses totale Entsetzen der Medienmänner darüber, dass diese „rothaarige Hexe“ mächtig werden könnte. Und die Schärfe, mit der sie medial abgewickelt wurde.

Chris Köver (links), Tom Schimmeck (rechts) (Foto: Tanja Krokos)


Chris Köver hat in ihrem Vortrag über das Missy Magazine erklärt, dass die Missy-Redaktion fasst, ausschließlich Frauen als Autorinnen anfragt und überwiegend über Frauen berichtet – wäre der Fall Ypsilanti anders verlaufen, hätten nur Frauen über sie geschrieben?
Während meiner wochenlangen Recherche für das Kapitel über den „Fall“ Ypsilanti war mir eigentlich permanent übel (lacht). Und da haben auch die Beiträge, die von Frauen verfasst wurden, nicht wirklich Abhilfe geschaffen. Im Gegenteil: auch Journalistinnen, darunter viele einst linke oder liberale, haben sich beflissen und geradezu lustvoll am Ypsilanti-Bashing beteiligt, sich der gleichen, von den Leittieren vorgegebenen Sprache bedient und ihr zuweilen noch eine besonders perfide, pseudo-einfühlsame Komponente hinzugefügt.

Wie erklären Sie sich – und uns – das?
Die Grundfrage ist doch: Was machen Institutionen mit dem Individuum, das sie durchschreitet?! Was ist der Preis? Auch im Journalismus versuchen viele zunächst, echten oder vermeintlichen Erwartungen zu entsprechen. Auf der Arbeitsebene gibt es inzwischen sehr viele Frauen. Die wirklich mächtigen Positionen aber sind bekanntlich weiterhin männerdominiert. Diese Jungs setzen den Ton in vielen Redaktionen, machen die Spielregeln. Frauen, die in einem solchen Umfeld bestehen wollen, Anerkennung und Erfolg suchen, müssen sich an ihren Diskursen beteiligen. Oder glauben dies doch zumindest. Meine Erfahrung sagt mir: Frausein allein nützt wenig, schafft keinen besseren Stil, keine neuen Sichtweisen und Inhalte. Die Quote muss sein. Viel wichtiger für Frauen, die es „weit“ bringen wollen, scheint mir aber ein stabiles Bewusstsein – zur Bewahrung der eigenen Identität. Anstatt sich einen besonders kerligen Habitus zuzulegen, sollten Frauen sich vor Augen führen, woher sie kommen und wofür sie stehen.

Herr Schimmeck, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sonja Erkens, Autorin des Missy Magazines

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