Freitag, 16. März 2012

"Das ist kein Automatismus"

Dem Eröffnungsvortrag lauschend (Foto: Tanja Krokos)
Prof. Dr. Margreth Lünenborg ist Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalistik an der Freien Universität Berlin. Im Mai wird ihre neueste Publikation "Ungleich mächtig. Das Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation" bei transcript erscheinen. Darin hat sie zusammen mit anderen WissenschaftlerInnen untersucht, über welche Spitzenfrauen und -männer wo und wie oft gesprochen wird. In ihrem Eröffnungsvortrag zur Tagung "Gender matters!" sind wir also mitten in der Suche nach Identifikationsangeboten für Frauen in den Medien.



Sie haben Journalismus studiert, volontiert und auch journalistisch gearbeitet. Warum wollten Sie irgendwann wieder zurück zur Wissenschaft?


Ich habe während meines Studiums ein Praktikum in Berlin gemacht und war dann zufällig auf einer Konferenz in Berlin, als die Mauer fiel. Das war natürlich unglaublich bewegend und da war nach Ende des Studiums klar: Ich muss nach Berlin. Dann habe ich für den SFB (Sender Freies Berlin) gearbeitet, die ja damals ein frauenpolitisches Magazin hatten. Bei denen hatte ich ein Praktikum gemacht - das waren ganz wunderbare KollegInnen und es war sehr toll, dort zu arbeiten. Für die habe ich frei gearbeitet, aber nebenbei noch andere Sachen gemacht. Wir haben zum Beispiel in der direkten Nachwendezeit "Ypsilon" gegründet - ein gemeinsames Frauenmagazin von ostdeutschen und westdeutschen Kolleginnen. Parallel dazu habe ich promoviert und hatte immer das Gefühl, dass ich mich mal zwischen Journalismus und Wissenschaft entscheiden muss . Dann habe ich erst noch politische Pressearbeit gemacht, bin nach Schleswig-Holstein gegangen und war da Pressesprecherin des ersten grünen Ministeriums für Frauen, Jugend und Wohnungsbau. Das war sehr interessant, aber nicht meine Zukunft. Irgendwann habe ich da aufgehört und bin in die Wissenschaft gegangen. Es gibt diesen einen Punkt, den viele Journalistinnen und Journalisten haben: dass man in diesem Beruf immer nur bis zu einer bestimmten Tiefe arbeiten kann. Die Aktualität treibt ja auch. Ich hatte einerseits also sicherlich die Sehnsucht, mal in Ruhe an einem Thema arbeiten zu können, habe aber schon immer gerne auch Lehre gemacht.


Was für eine Haltung zum Thema Geschlecht und Journalismus möchten Sie jetzt in der Lehre ihren StudentInnen mit auf den Weg geben?

Mir ist es wichtig, dass die Studierenden und wir uns selbst auch damit auseinander setzen, wie Medien Gesellschaft machen und wie Gesellschaft Medien macht. Ich glaube, diese gesellschaftliche Kontextualisierung ist sehr wichtig. Wie wandelt sich Journalismus unter Bedingungen von Digitalisierung und Ökonomisierung? Aber auch beim Thema Ausdifferenzierung von Teilpublika steht die Frage: Wie kann Journalismus eigentlich eine Gesellschaft zusammen halten? Oder ist dieses Bild schon überholt? Mich interessieren da kulturvergleichende, grenzüberschreitende Perspektiven. Und mich interessiert die Schnittstelle zwischen Populärkulturen und Journalismus sehr. Ich sehe das nicht als Antagonismus: hier der seriöse Qualitätsjournalismus, dort die trashige Unterhaltung. Journalismus ist überhaupt erst dadurch, dass er auch unterhaltsam ist, zu einem relevanten gesellschaftlichen Medium geworden. Das ist keine Schwächung oder Schmach, sondern es ist auch eine Funktion. Unterhaltung heißt: Ich kann mich darüber unterhalten, es ist anschlussfähig an meine Lebenserfahrung und darüber tausche ich mich mit anderen aus. Das finde ich eine ganz wesentliche Funktion. Und wenn man sich mit populären Medien und Journalismus beschäftigt, sind Geschlechterfragen einfach essentiell. Wie entwickeln sich Geschlechter? Welche werden uns gezeigt? Wie nehmen wir die auf? Wie verstehen wir das, was uns da gezeigt wird? Welche Kompetenz haben wir, das zu interpretieren? Das sind ganz nahe liegende Fragen.


Medien transportieren Bilder von Gesellschaft und Geschlecht und diese Bilder werden von den Leuten bestimmt, die in den verschiedenen Medien arbeiten. Die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen im Medienbetrieb ist ja auch eine Forderung nach einer differenzierteren Berichterstattung. Aber befinden wir uns nicht in einer ständigen Wechselwirkung von Bildern, in der Frauen ein bestimmtes Bild vom Frausein schon inkorporiert haben und sich dadurch in der Darstellung kaum etwas verändern würde?

Also ich würde sagen: Rein aus Gerechtigkeitsgründen ist eine Quote notwendig, damit gerechte Bedingungen hergestellt werden. Dieselbe Diskussion haben wir an den Universitäten auch: Es gibt keinen Grund weshalb die am besten bezahlten Jobs privilegiert für die Männer freigehalten werden sollten. Das ist eine Gerechtigkeitsgeschichte. Diese Forderung ist aber nicht automatisch mit einem inhaltlichen Wandel verbunden. Zugespitzt gesagt: Die alte feministische Vision "Mehr Frauen in die Redaktionen - dann sieht die Zeitung auch anders aus" ist zu simpel gedacht. Die ersten Studien, die es Anfang der 80er Jahre in Deutschland gab, haben 17 Prozent Frauen im "Männerberuf" Journalismus festgestellt. Heute haben wir im Durchschnitt zwischen 36 und 40 Prozent Frauen - je jünger, desto größer der Anteil. Also wir haben eine starke Teilhabe von Frauen im Journalismus. Das hat aber überhaupt nicht automatisch dazu geführt, dass wir deshalb andere Frauen- oder Männerbilder in den Medien haben. Das ist also kein Automatismus. Ich würde diese Frage daher nie monokausal am Geschlecht festmachen. Was es gibt, ist ein emanzipatorisches Bewusstsein: Was will ich eigentlich mit Journalismus? Will ich Strukturen in der gesellschaft erklären? Will ich Machtverhältnisse sichtbar machen? Das ist ein intellektueller Prozess. Und dann gibt es verschiedene Lebenserfahrungen, die sich nicht einfach nach Männern und Frauen scheiden, aber in der Frauen tendenziell mehr Erfahrungswelten haben, die mit sozialen Verpflichtungen im weitesten Sinne zusammen hängen. Und ich denke in dem Zusammenwirken kann sich was verändern, aber nur dann, wenn ökonomisch Räume zur Neuorientierung und -gestaltung da sind. Die Ökonomie ist letztlich das, was reglementiert, was geht oder nicht - sogar, tragischerweise, bis in die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die dann Quoten zu ihrer eigenen Ökonomie machen. Darin ist Geschlecht nicht determinierend ein essentielles Ding, aber es ist eine Dimension von sozialen und kulturellen Lebensweisen, die sich auch im journalistischen Handeln ausdrückt.


Sie haben in Ihrer aktuellen Forschung fünf verschiedene Zeitungen miteinander verglichen. Wie Sie heute in Ihrem Vortrag gezeigt haben, kommen Frauen in der politischen Berichterstattung der taz auch nur zu 20 Prozent vor - genauso oft, wie in anderen Medien wie der Bild oder der FAZ auch. Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?

Die taz hat ja tatsächlich eine harte Quote - nicht nur in der Chefredaktion. Die schauen wirklich, dass alles paritätisch besetzt wird - das finde ich wunderbar. Und das kann man auch sehen, wenn man sich die AutorInnen anschaut, die dort schreiben. Die taz hat auch eine lange Auseinandersetzung hinter sich, ob sie eine Frauenseite brauchen, oder nicht. Jetzt gibt es eine mit Geschlechterpolitik. Es gibt also das Bewusstsein, dass das ein thematisches Feld ist, aber das ändert nichts daran, wie die Seiten 1, 2 und 3 gemacht werden. Die taz hat sich entschieden, als Vollmedium auf dem Markt zu sein - also nicht nur als Zusatzblatt, das man sich kauft, wenn man noch was über die Anti-AKW-Bewegung wissen möchte, sonst aber eigentlich nur die Süddeutsche liest. Die taz setzt eigene Themenschwerpunkte, aber sie will trotzdem die Nachrichtenlage des Tages genauso abdecken, wie auch andere Qualitätszeitungen das wollen. Und genau das sehen wir dann in den Zahlen.


Es gibt ja durchaus immer noch Personen, die glauben, es gäbe einen "weiblichen" Schreibstil - dass Frauen etwa anders über Politik schreiben, als Männer. War das auch eine Fragestellung in Ihrer Forschung?
Nur ein kleiner Teil von Beiträgen ist ja explizit namentlich gekennzeichnet. Von daher hätte man für eine Forschung nur eine kleinere Teilmenge der Berichterstattung zur Verfügung. Wir haben das zwar mit angeschaut, aber es gibt gar keinen Hinweis darauf, dass Frauen anders schreiben und dadurch andere Bilder entstehen. So simpel lässt sich das nicht abzeichnen. Ich würde schon sagen, dass es Autorinnen und Journalistinnen gibt, die einen anderen Approach pflegen, auch geradezu etabliert haben. Und es gibt welche, die das nicht tun. So ist es auch bei Männern. Aber "das weibliche Schreiben" würde heute keiner mehr so als Fragestellung in den Raum werfen, das war in der Literaturwissenschaft schon lange ein Thema.  Das würde ja heißen, dass Frausein als solches zu spezifischen Ausdrucksformen führt. Und das würde ich in Frage stellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

(Das Interview führte: Katrin Gottschalk, Online-Redakteurin des MISSY MAGAZINE)

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