Sonntag, 18. März 2012

Die neue Gender Order – Workshop Beitrag der Politik zur Subversion

Egal wo, ob in einer Volkspartei, in einer kleinen neuen Partei oder in einer NGO. Auf den Posten sitzen immer die Männer“. Mit diesen Worten bringt Deborah Ruggieri, Vertreterin der Arbeitsgruppe Gender im Rat der globalisierungskritischen NGO Attac ihre eigene Bestandsaufnahme zur Gleichstellung und die ihrer Vorrednerinnen von SPD und Piratenpartei auf den Punkt.
Katrin Rönicke (Moderation), Cordula Drautz, Deborah Ruggieri, Lena Rohrbach (v.l.n.r.)
Drei engagierte Frauen berichteten im Workshop „Beitrag der Politik zur Subversion“ von den Geschlechterverhältnissen in ihrer jeweiligen Organisation und mit welchen Mitteln sie versuchen, diese zu verändern. Dass das nicht immer einfach ist, haben alle drei schon am eigenen Leib erfahren ...
 Den Anfang macht Lena Rohrbach, Mitglied der Piratenpartei und im parteiinternen neugegründeten Kegelclub aktiv. Dieser widmet sich Geschlechterpolitik und hat kürzlich eine großangelegte Umfrage zum Verhältnis der Pirat_innen zu Feminismus und Geschlechterfragen veröffentlicht, der viel mediales Feedback hervorrief. Rohrbach erklärt ihren feministischen Ansatz, den sie auf die radikalkonstruktivistischen Theorien Judith Butlers zurückführt. Um Geschlechterkategorien subversiv zu unterlaufen, sind hiernach vor allem performative Strategien gefragt, die gängige Rollenmuster entlarven. Für die klassischen Parteien bedeuten diese Strategien jedoch ein hohes Risiko, da im repräsentativen System wenige Einzelpersonen die Stimmen einer Mehrheit hinter sich versammeln müssen – eine Mehrheit die deviante Identitäten unter Umständen nicht einordnen kann. Einen Weg zu mehr Geschlechtersubversion bietet das von der Piratenpartei propagierte Liquid Democracy-Prinzip, eine Mischung aus direkter und indirekter Demokratie. Hier stehen Einzelne weniger im Vordergrund, deswegen kommt Liquid Democracy denen zugutekommt, die im derzeitigen parlamentarischen System weniger gehört werden: Frauen und marginalisierte Gruppen.

Cordula Drautz (Foto: Tanja Krokos)
Auf Rohrbach folgte Cordula Drautz, seit 1998 SPD-Mitglied und mit diversen Aufgaben und Posten in Partei und nahestehenden Organisationen bedacht. Sie erklärt, dass die SPD als fast 150 Jahre alte und von Männern gegründete Institution höchst konservativ sei, zumindest was ihre Geschlechterverhältnisse angeht. Auch wenn der Wandel von der Arbeiterpartei zur Volkspartei mit dem Godesberger Parteiprogramm von 1959 eingeleitet wurde: Das Old-Boys-Netzwerk – männliche Zirkel, die sich gegenseitig stützen – scheint in diesen Strukturen besonders gut zu funktionieren. Als weiteres Hindernis für weibliche Beteiligung in Der SPD nennt Drautz das Omnipräsenzprinzip. Am Beispiel Berlin zählt sie auf, dass jedes aktive Parteimitglied der Stadt eigentlich zwei „Posten und Pöstchen“ besetzen müsste. Ehrenamtlich versteht sich. Im Alltag vieler Frauen zwischen Beruf und Familie erscheint das unsinnig, mit Inhalten hat es schonmal gar nichts zu tun. Doch mehr Beteiligung von Frauen in der Partei ist gewünscht. Drautz zitiert aus dem Leitantrag zur beschlossenen Parteireform von 2011: „Eine Partei mit den Regeln einer Männerpartei kann keine Volkspartei sein.“ Drautz nimmt aber auch die Frauen selbst in die Pflicht: „Die Frauen organisieren sich schlecht und das geht mir gewaltig auf den Keks.“ Sie betont, dass eine so große Organisation wie die SPD ohne Seilschaften gar nicht funktionieren könne. Damit meint Drautz weniger die SPD-Organisation ASF (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen), die seit Jahrzehnten am Ziel „Gleichstellung von Männern und Frauen in Partei und Gesellschaft“ arbeitet, sondern fehlende Loyalität der Frauen bei Kandidaturen und Postenbesetzung, die oft dazu führen, dass die Männer am Ende die lachenden Dritten sind.

Debora Ruggieri, Attac (Tanja Krokos)
 Auch Deborah Ruggieri von Attac beschreibt, wie mühsam es ist, gegen den Widerstand männlicher Mitglieder Gleichstellungspolitik innerhalb der Organisation voranzutreiben. Attac ist in puncto Geschlechterverhältnisse kein typisches Beispiel für eine NGO – im Bereich Ehrenamt dominieren oft die Frauen – doch aufgrund der Thematik Wirtschaft und Finanzen ähnlich männerdominiert wie die beiden vorgestellten Parteien. Ruggieri plädiert dafür, jede Organisation und jedes Feld auf Geschlechterbilder hin zu analysieren. So ergibt sich das Bild einer „Gender Order“, die ihren Ausdruck in Texten und Bildern. Das Feld der Finanzwirtschaft beschreibt Ruggieri als eindeutig männlich kodiert: Männer in grauen Anzügen, Laptoptasche in der Hand, zackig und dynamisch. Diese explizite Einschreibung von Männlichkeit macht es Frauen ungleich schwerer, sich dort zu behaupten. Weil Ruggieri selbst durch ihre weibliche Erscheinung aneckt und ihr die fehlende Präsenz von Frauenbei Attac, z.B. auf Podien, übel aufstoß, beteiligte sie sich 2008 an der Gründung des Gender Rates. Sie plädiert aber nicht nur für den Marsch durch die Institutionen, sondern auch für kreative und spontane Aktionen, um die Aufmerksamkeit auf die Geschlechterfrage zu lenken und zum Nachdenken anzuregen.

Von Stefanie Lohaus, Redakteurin Missy Magazine 

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